Virtual Reality (VR)

Kurz erklärt

AR (Augmented Reality ) und VR (Virtual Reality) projizieren Objekte oder Umgebungen, die physisch nicht existieren, jedoch in ihrer Funktionalität oder Wirkung vorhanden sind. Man spricht hier auch von der „erweiterten Realität“. Während man bei der AR in der echten Realität bleibt und nur Gegenstände in die Realität hinein projiziert, werden bei VR ganz neue virtuelle Realitäten geschaffen.

Expertenbericht

Wie VR und AR die digitale Welt hinter der realen erlebbar machen

Wenn Baumärkte VR-Apps zur Badplanung anbieten, ist das ein sicheres Zeichen, dass das Thema Virtual Reality (VR) in der Öffentlichkeit angekommen ist. Datenbrillen und die interaktiven Erlebnisse, die diese ermöglichen, sind aber nicht nur für die Badplanung und Spiele interessant, sondern auch im beruflichen Umfeld. Die virtuelle Realität verbindet die Welt der Daten und Bits mit der Wirklichkeit und macht sie erlebbar.
Im Jahr 1838 fand der britische Physiker Sir Charles Wheatstone heraus, wie das räumliche Sehen funktioniert. Er entdeckte, dass er durch zwei Bilder, die je einem Auge gezeigt werden und die sich in ihrer Perspektive entsprechend unterscheiden, einen dreidimensionalen Eindruck erzeugen konnte. Auf dieser Erkenntnis basieren auch die heutigen Datenbrillen, die nichts anderes sind als zwei Bildschirme, die direkt vor die Augen positioniert sind und jeweils Bilder für das linke und das rechte Auge zeigen.
Viele von uns kennen noch den Viewmaster, in den man Pappscheiben mit stereoskopischen Bildern einlegen und dann das Tadsch Mahal oder die Golden Gate Bridge dreidimensional betrachten konnte. Leider war das eine statische Ansicht. Heute ist es möglich, ein dreidimensionales Modell einer Landschaft, einer Fabrikhalle oder auch eines Auto-Innenraums zu erstellen und mit Hilfe einer virtuellen Stereokamera an jeder Stelle eine Ansicht zu berechnen.
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„Immersive Experience“

Koppelt man diese beiden Dinge und stattet die Datenbrille mit Sensoren aus, die die Kopfbewegungen messen, so kann man eine „immersive Experience“ entwickeln, in der sich der Betrachter durch die virtuelle Welt bewegen und sich völlig natürlich umsehen kann. Genau dies schaffen VR-Brillen. Zusätzlich bekommt der Betrachter Geräte in die Hand, die ebenfalls in ihrer Position und Lage verfolgt werden und die seine Hände in die virtuelle Welt bringen. So kann er Dinge greifen, Knöpfe drücken oder virtuelle Türen öffnen.
Das Wort „immersive“, eindringend, eintauchend, beschreibt es gut: Der Betrachter schlüpft in die virtuelle Welt hinein und der Geist lässt sich sehr schnell auf die virtuelle Umgebung ein. Es gibt eine Experience, in der man virtuell auf einem Brett zwischen zwei Wolkenkratzern balanciert. Obwohl man weiß, dass man auf einem Brett läuft, das auf dem Boden liegt und die gesamte Umgebung computergeneriert ist, bekommen viele Menschen Höhenangst. Neben solchen „vollimmersiven“ Brillen, die den Menschen völlig von der Realität abschirmen, und Datenbrillen wie Google Glass, die lediglich in einer Ecke des Sichtbereichs Daten einblendet, existiert eine breite Palette von Anwendungen von „komplett virtuell“ bis „fast komplett real“. Man spricht dabei von Augmented (erweiterter) Reality (AR). Je nach Einsatzgebiet bieten diese Technologien interessante Anwendungsmöglichkeiten.
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Praktische Umsetzungen

Virtual Reality, also komplett computergenerierte Welten, bieten sich naturgemäß an, wenn es darum geht, Dinge zu visualisieren und zu untersuchen, die noch nicht oder nicht mehr existieren. So gab es lange vor dem Neubau der Dresdner Frauenkirche eine VR-Experience, in der man sich durch die fertige Kirche bewegen konnte. Etabliert hat sich VR beispielsweise auch in der Innenraumgestaltung – seien es Bäder wie beim Heimwerkermarkt oder Fahrzeuginnenräume. Der Designer und Entwickler bekommt sofort einen sehr realistischen Eindruck von seinem Produkt.
Ein gutes Beispiel für eine AR-Anwendung ist eine App, die WAREMA, europäischer Marktführer für technische Sonnenschutzprodukte, in Zusammenarbeit mit dem Ellwanger Systemhaus INNEO entwickelt hat. Nach dem Start markiert der Interessent drei Punkte auf seiner Terrasse, indem er mit seiner Handykamera die Punkte anfährt. Dann projiziert die Software eine Markise ins Kamerabild, die auch beim Schwenken des Telefons immer an derselben Stelle bleibt. Der Anwender kann nun Markisenstoff und -modell wählen, verschiedene Konfigurationen und Maße austesten. Dabei sieht er auf dem Smartphone-Bildschirm immer die virtuelle Markise an der realen Hauswand. Am Ende kann er ein PDF erstellen, das alle Daten sowie ein Foto des AR-Modells enthält und mit dem er beim Fachhändler die Markise bestellen kann.
Die virtuelle Markise am realen Haus – das lässt sich natürlich noch erweitern auf Gebäude, die noch gar nicht existieren. Gerade wenn es darum geht, sehr große oder komplexe Objekte erfahrbar zu machen, leistet VR einen wertvollen Beitrag. So hat beispielsweise Steinmüller Babcock, ein Spezialist für Projektierung, Planung und Bau von Müllbehandlungs- und -verbrennungsanlagen, gemeinsam mit INNEO eine VR-Experience entwickelt, in der man das Innere einer Müllverbrennungsanlage und die Vorgänge darin erleben kann. Dr. Kerstin Matthies aus dem Marketing: „Man muss beim Verkauf eines Müllheizkraftwerks oft Ängste abbauen, vor allem bei technisch eher unerfahrenen Beteiligten, beispielsweise Gemeinderäten oder Anwohnern. Da man in die Anlage im laufenden Betrieb nicht hineinsehen kann, ist so ein VR-Szenario das optimale Medium für solche Kommunikationsfälle.“ Mit Hilfe der VR kann jedermann einen realistischen Einblick in die Vorgänge in der Müllverbrennungsanlage erhalten. Ebenso wäre es denkbar, das Modell der Anlage in ein digitales Geländemodell zu importieren und mit Hilfe der VR aus jeder Perspektive, von fern und von nah die Wirkung des – noch lange nicht gebauten – Gebäudes zu beurteilen.
„Immersive Experience“ mit VR-Brillen: Der Betrachter bekommt Geräte in die Hand, die ebenfalls in ihrer Position und Lage verfolgt werden und die seine Hände in die virtuelle Welt bringen. So kann er Dinge greifen, Knöpfe drücken oder virtuelle Türen öffnen.
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Virtuelle Instandsetzungsleitfäden

Sehr interessant ist auch die Verknüpfung von realer und virtueller Welt, wie sie die Augmented Reality bietet. So bietet INNEO eine Softwaresuite des US-Softwareherstellers PTC namens Vuforia, mit deren Hilfe unter anderem virtuelle Instandsetzungsleitfäden erstellt werden können. Auf dem Objekt, das repariert oder gewartet werden soll, klebt in diesem Fall ein Aufkleber mit einem Code, der es einer halbdurchsichtigen Datenbrille ermöglicht, virtuelle und reale Ansicht zu synchronisieren. Dann lassen sich Handlungsanweisungen, Pfeile, Visualisierungen direkt auf das reale Produkt „projizieren“. So bekommt der Wartungstechniker beispielsweise gezeigt, wo sich ein zu wechselnder Luftfilter befindet, wie er aufzuschrauben und wie die neue Patrone einzusetzen ist.
Ebenso lassen sich Daten in das Sichtfeld des Benutzers einblenden – und zwar nicht irgendwo, sondern genau an einer gewünschten Stelle der realen Welt. Ein Einsatzgebiet sind große Anlagen, beispielsweise ein Chemiewerk. Dort sind die Anzeigen von Sensoren üblicherweise nur in der Leitstelle sichtbar. Mit Hilfe einer AR-Brille erscheinen die Messwerte direkt neben dem realen Sensor, wenn der Benutzer durch das Werk geht. Rohrleitungen werden virtuell beschriftet oder je nach Funktion eingefärbt, das Innere von Kesseln dargestellt.
Gerade diese Verbindung von realer Umwelt und digitalen Daten hat sehr großes Potential, unsere Arbeitswelt zu verändern. Tablets und andere Mobilgeräte ermöglichen schon heute, an jedem Ort Daten abzurufen, beispielsweise vor Ort beim Kunden oder an einer Maschine. AR gibt diesen Daten nun quasi einen Ort und sorgt für einen wesentlich einfacheren, besseren und schneller verständlichen Blick auf Daten, Zusammenhänge und Abläufe. In der erwähnten VR-Experience von Steinmüller Babcock sind viele spezielle, interaktive Elemente integriert, so lässt sich der große Müllkran steuern und ein Verbrennungsstart durchspielen. Solche komplexe Szenarien werden von den INNEO-Spezialisten individuell programmiert.
Geht es nur darum, ein Produkt im virtuellen Raum zu präsentieren, bietet das Ellwanger Systemhaus KeyVR an, eine Softwarelösung, mit der sich 3D-Szenarien aus dem Visualisierungsprogramm Keyshot in interaktive VR-Experiences umwandeln lassen – und das ohne Programmierung und tiefgreifende Kenntnisse. So deckt INNEO das gesamte Spektrum von der Implementierung von VR-Software beim Kunden über AR-Lösungen bis zur Programmierung von High-End-VR-Experiences ab.
Unsere heutige Welt ist ohne digitale Informationen und Datenflüsse nicht mehr denkbar. Digitale Technologien und Vorgänge geschehen ständig rund um uns herum, ohne dass wir sie mit unseren Sinnen aufnehmen können. Insofern ist VR/AR eine Erweiterung unserer Sinne, die die virtuelle Welt hinter unserer realen zum Vorschein bringt und es uns ermöglicht, digital in die Zukunft zu sehen – wenigstens in die Zukunft unseres Badezimmers.

Autor

Dipl.-Ing. Ralf Steck,
Freier Fachjournalist für die Bereiche CAD/CAM,
IT und Maschinenbau in Friedrichshafen.
Im Auftrag der INNEO Solutions GmbH